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Empire Musikmagazin 119
Die Ankündigung eines neuen Albums von Neuschwanstein war eine der Überraschungen Ende des Jahres 2016.
Grund genug, mit Thomas Neuroth, dem kreativen Schöpfer des neuen Projektes, das Gespräch zu suchen.
Das Interview führte Tim Stecher.
Mit Fine Art hast Du nach langer Zeit unerwartet ein neues Album unter dem Bandnamen Neuschwanstein veröffentlicht.
Wie kam es dazu?
Es hat mächtig rumort. Die Chronologie der Ereignisse aussparend, es musste raus. Nachdem ich lange Zeit nicht
komponiert hatte, schwirrten dermaßen viele Ideen in meinem Kopf, auf Zetteln notiert, in dutzenden kleiner Entwürfe
und Studien am Klavier herum. Das musste gemacht werden.
Die Musik von Fine Art ist anspruchsvoll, die CD sehr gut produziert. Mit dem in Fankreisen hoch gelobten Battlement-Album
hat Fine Artaber musikalisch nicht mehr viel gemein. Warum veröffentlichst Du die neue unter dem Namen Neuschwanstein?
Neuschwanstein war immer mein Kind, die Mehrzahl der Musiken habe ich komponiert und war auch immer der
musikalische Motor. Außerdem: Einer muss das Banner hochhalten.
Fine Art ist eine schöne Sammlung moderner Klassik, Klassik-Rocks und Klassik-Adaptionen. Hattest Du keine Lust, neue
Musik im Stile von Battlement zu komponieren? Woher kommt die Nähe zur Klassik?
Wenn Musik ein Tagebuch wäre, würden wir nach fast 40 Jahren immer noch diesen einen Tagebucheintrag schreiben?
Den größten Teil von Battlement habe ich komponiert, noch bevor ich 25 war. Damals entsprang die Musik dem Herz und
dem Kopf, war getränkt vom Lebensgefühl junger Männer in den 1970ern. Berühmt wollte man werden und hatte allerlei
Flausen im Kopf. Heute, mit 62, beziehe ich zusätzlich Bauch und Eier in die Musik mit ein. Flausen: nicht existent.
Es geht nur noch um die Musik. Ich wollte etwas machen, was so noch niemand macht oder gemacht hat. Orchester und
rockige Kapelle. Das einmal als Ganzes sehen.
Ein Orchester mit zusätzlichen Instrumenten, eine stark erweiterte Band. Nicht nur den einen die Begleitung des anderen
sein lassen. » E-Gitarre ins Orchester! Nehmt die Hammond mit dazu! « Das sollte man laut und immerzu skandieren.
Die Nähe zur Klassik (ich hasse diese Klassifizierung) ist Teil meiner Teenager-Wurzeln. Nicht im Mississippi-Delta
mit einer Gitarre und dem Blues, nicht im damals so aktiven Canterbury, sondern im Saarland mit Dr. Böhm Heimorgel
groß geworden. Unzählige Gottesdienste beider Konfessionen, Hochzeiten und Beerdigungen beorgelt.
Mein erstes Konzert war Ekseption mit Peace Planet. Frage beantwortet?
Der wahre Grund ist aber der, dass ein romantischer Streichersatz einfach sehr schön klingen kann. Wenn dann die
Hammond dazukommt und Fagott, Cello und eine heavy Gitarre unisono spielen, dann ist das noch schöner.
Gäbe es sowas im normalen Konzert-Abo, ich würde auch wieder öfter in ein Konzert gehen.
Das Album Fine Art ist sehr eigenständig und die Mischung aus Klassik, Moderne, Prog-Passagen und sehr orchestralen
Momenten einzigartig. Kannst Du bitte kurz beschreiben, wie Du einzelne Kompositionen entwickelt hast?
Generell ist „ruhen lassen“ wichtig bei der Arbeit, um Betriebsblindheit vorzubeugen. Klingt die coole Idee zwei Tage
später noch so cool? Ich arbeite oft an mehreren Titeln gleichzeitig. Wenn mir bei Titel A keine Lösung zu einem Problem
einfällt, wechsle ich zu B, C usw.
Bei den eigenen Musiken habe ich zwei Methoden, abhängig davon, ob ich eine Musik am Klavier komponiere oder
ob es sich um eine Klangvorstellung handelt. Per Omnem Vitam steht für die erste Methode. Die persönliche Geschichte
zu diesem Titel immer vor Augen, am Klavier entwickelt. Ruhen lassen, dann anhören. So lassen oder ändern?
Wichtig ist mir immer die Dramaturgie, der emotionale Spannungsbogen innerhalb eines Stückes. Auch die Zeit zum
Atmen oder der Atemlosigkeit. Peu à peu mit Instrumenten füllen, die wiederum miteinander spielen.
Stimmt die Dynamik? Gefällt es mir?
Bei The Angels Of Sodom wusste ich nur, dass es ordentlich rumpeln sollte, bevor die Engel loslegen. Eine Klang-
vorstellung, in der dickes Gebläse und Gitarre viel Platz einnahmen. Ich habe mein Set auf dieses Rumpeln eingerichtet
und taktweise komponiert. Komplett mit vollem Sound und allen Instrumenten, komplett arrangiert. Auch hier kommt es
zu Sackgassen und vollen Papierkörben. Die Methode hat den Vorteil, dass von Anfang an klar ist, wie es weitergeht.
Um das Wohin muss man sich kümmern.
Fremden Musiken, Beispiel Fêtes von Debussy, höre ich immer erst einmal lange zu. Manchmal Wochen. Jeden Tag.
Nichts anderes. Man beginnt irgendwann, von der Musik zu träumen. Partitur lesen, Notizen machen, Zettelsammlung
anlegen, Partitur zerschneiden und mit Zetteln neu anlegen. Debussy-Biografie lesen, mit Impressionismus beschäftigen,
viel Unfug im Netz finden über ein Bild von Whistler, das Debussy inspiriert haben soll. Während all dem entwickelt sich
eine Vorstellung vom Klang und der Form der Bearbeitung. Man kennt jede Note, hat dreimal darüber sinniert und glaubt,
verstanden zu haben, was der Komponist sagen will. Man beginnt mit dem praktischen Teil.
Das alles kann sehr lange dauern.
Hast Du alles alleine komponiert oder waren andere Musiker am Entstehungsprozess beteiligt?
Bei Debussy, Saint-Saëns und Schulz habe ich neben der Bearbeitung des vorhandenen Materials stellenweise
zusätzliche Musik hineinkomponiert. Die anderen Musiken sind ausschließlich von mir, der kleine gelesene Text ebenso.
Wozu ich bemerke, dass, was die Einspielung von Gitarren, Bass, Drums, Keyboards, Flöten, Geigen und allem
Solistischen angeht, ich mich beim Mix meist für die Interpretation des jeweiligen Musikers entschieden habe.
Ich klebe ja nicht an meiner Partitur.
Skizziere bitte kurz die Geschichte von Neuschwanstein und was Du nach dem Ende der Band gemacht hast.
1969/70 - Gründung 1972 - Erstes Konzert unter dem Namen Neuschwanstein, Entstehung Alice In Wonderland,
Umbesetzungen, Konzerte u.a. mit Frédéric Joos im Vorprogramm 1975 - Ende der Instrumentalphase, Frédéric Joos
steigt als Sänger ein 1978 - Battlement 1980 - Michael Kiessling wird Sänger 1982 - Ende.
Nach Neuschwanstein habe ich Deutschrock gemacht als Komponist der Michael Kiessling Band. Gleichzeitig und
danach als Studio-Keyboarder lange unterwegs gewesen. Von zwei Musicals bis zum Jingle Auftragsmusiken
geschrieben, ein bisschen produziert. Dann bin ich Vater geworden und habe einige Jahre nicht komponiert, mich
ausschließlich meinem Sohn und meiner Familie gewidmet.
Jetzt ist der Bube groß, spielt geil Gitarre, noch geiler Klavier und ist auf der CD zu hören. Was will ich mehr.
Wie sind die ersten Reaktionen auf das neue Album?
Grundsätzlich ist das Feedback komplett positiv. Viele Hörer sind irritiert wegen der rockigen Komplexität, mögen lieber
Mellotron als richtige Geigen und haben alles eine Nummer softer erwartet. Es gibt die, die zuhören und sich auf etwas
Neues einlassen. Es gibt die, die zuhören und lieber eine Kopie von Battlement hören würden. Einige kommen nicht klar
mit der Klassik, die keine Klassik ist. Aber alles sehr, sehr positiv.
Wie geht es nach diesem eindrucksvollen neuen Lebenszeichen mit Neuschwanstein weiter?
Neue Nummern schreiben, ein Orchester involvieren, auf die Bühne.
Welche musikalischen Vorbilder hast Du?
Ich hatte mal welche. Jetzt kümmere ich mich mehr um meinen eigenen Kram.
Gibt es aktuelle Musik anderer Künstler, die Dich beeindruckt?
Ja, es gibt einen Künstler. Thierry Eliez, ein großer französischer Pianist, Organist, Sänger und Komponist.
Ein musikalischer Freidenker, der die Musik von Keith Emerson wirklich verstanden hat und sie sehr liebt.
Wie soll Fine Art live umgesetzt werden?
Laut und groß. Nur mit Orchester. Keine Kompromisse.
Welche musikalischen Ziele hast Du noch in Zukunft?
Vielleicht lerne ich noch dirigieren.